Über das Album

Seinen 30. Geburtstag wollte Marco Schmedtje eigentlich ganz groß feiern, am helllichten Tage in der Hamburger Kneipe Mutter. „Es war schon alles geplant, aber dann ist etwas passiert, was mir das Herz zerriss. Ich hatte wahnsinnigen Liebeskummer und musste die Stadt verlassen“, erinnert er sich. „Ich bin kurzerhand nach Berlin gefahren, wo ich drei Wochen in einem Hotel in Neukölln gelebt habe. Mit dem Heimweh kam der Durst und da an Schlaf sowieso nicht zu denken war, stürzte ich mich exzessiv ins Berliner Nachtleben.“ Die Tage derweil verbrachte Schmedtje alleine in seinem kleinen Hotelzimmer und schrieb sich seinen Kummer von der Seele. So entstanden sechs intime Songs, die er mit einem Vier-Spur-Rekorder aufnahm. „Aku-Session“ beschriftete er die Aufnahme, kurz für Akustik-Session. Zurück in Hamburg waren die Aufnahmen bald aus dem Sinn, und irgendwann zwischen damals und heute war schließlich auch das Tape verschwunden. Ein Backup gab es nicht.

18 Jahre später, im Januar dieses Jahres, veröffentlichte Schmedtje ein Album seiner einstigen Band Vierwaender. Eines Tages meldet Bassistin July Müller-Greve sich bei ihm. Sie habe da eine alte Aufnahme gefunden, die ihr wahnsinnig gut gefalle – nur Schmedtje alleine mit der Akustikgitarre. „Ich konnte es kaum glauben, aber es war tatsächlich die Session von damals“, so Schmedtje. „Als ich sie mir anhörte, hatte ich das Gefühl, dass die Aufnahmen an meine jetzige Arbeit anzuknüpfen schienen. Als begänne ein Dialog mit meinem früheren ich.“ So kommt es, dass Schmedtjes neues Soloalbum „18“ nun aus zwei Seiten besteht: Die erste Hälfte der Songs sind die Ergebnisse der letzten zwei Jahre Studioarbeit mit dem Produzenten Lars Ehrhardt, danach folgt die vor 18 Jahren entstandene Akustik-Session.

Was beide Seiten des Albums gemeinsam haben: Im Zentrum stehen Marco Schmedtjes Gesang und die Akustikgitarre. Allerdings sind die Songs von Seite B lauter und wütender, rougher und ungehobelter. Wenn Schmedtje in „So weit weg“ von der Scherbe, die noch in seinem Herzen steckt oder in „Irgendwo“ von einem wahr gewordenen Albtraum singt, dann spürt man den Schmerz in jeder Note. Seite A gleicht ihn mit einer wohligen Wärme aus. Da dürfen sich auch mal ein sanfter Beat oder luftige Streicher dazugesellen, während Schmedtje sich mit den ganz großen Themen wie Liebe und Tod auseinandersetzt.

Das nachdenkliche „Lass die Sonne scheinen“ zum Beispiel ist ein Besuch auf dem Friedhof. Die erste Single „Tunnel aus Gold“ handelt von einer Beziehung, von der man sich nicht sicher ist, ob sie am Ende ist oder doch noch eine Zukunft hat, und die zweite Single „Tag aus dem Glas“ fängt einen ganz besonderen Moment an einem schönen Frühlingstag im Mai ein, an dem Schmedtje in einer Bar im Hamburger Schanzenviertel saß. „Durch die Fensterscheiben beobachtete ich zwei junge Frauen, die an einem der Tische im Außenbereich saßen und sich angeregt miteinander unterhielten“, erzählt er. „Ohne ein Wort mit ihr gewechselt zu haben, verliebte ich mich in eine der beiden. Am Abend kam sie in die Bar und wir kamen ins Gespräch. Die nächsten drei Tage und Nächte verbrachten wir miteinander. Heute leben wir zusammen und haben zwei gemeinsame Kinder.“

„18“ ist Schmedtjes zweites Soloalbum. Seit dem Debüt „Schöne Geister“ sind – so mir nichts, dir nichts – sieben Jahre ins Land gegangen. „Ich habe damals direkt angefangen, neue Lieder zu schreiben“, sagt er. „Aber irgendwie kam immer was dazwischen.“ Was kein Wunder ist, denn Schmedtje hat einfach wahnsinnig viele verschiedene Projekte. Ein kurzer Karriere-Rückblick: Mit dem Traum, Musiker zu werden, zog er im Alter von 19 Jahren von Schleswig-Holstein nach Hamburg, wo er zunächst klassische Musik studierte. Er lernte Niels Frevert kennen, mit dem er auf Tour ging, und gründete seine eigene Band Vierwänder. Ende der Neunziger traf er Jan Plewka, dessen Band Selig sich gerade aufgelöst hatte – eine schicksalhafte Begegnung. Zusammen arbeiteten die beiden an Plewkas erstem Soloalbum „Zuhause, da war ich schon“, später gründen sie die Band Zinoba. Bis heute gehört Schmedtje zur Stammbesetzung der Schwarz-Roten-Heilsarmee, mit der Plewka seit vielen Jahren seine äußerst erfolgreichen Rio-Reiser- und Simon-& Garfunkel-Programme auf Deutschlands Theater- und Clubbühnen bringt. Mit dem Programm „Between The Bars“ touren die beiden zudem als Duo.

Obendrauf musiziert Schmedtje regelmäßig am Theater – vom Hamburger Schauspielhaus bis zum Burgtheater in Wien – oder arbeitet als Studiomusiker für Künstlerinnen wie Anna Depenbusch. Aktuell produziert er gerade die Jan Plewka singt Rio Reiser Live DVD „Wann wenn nicht jetzt“, die voraussichtlich Anfang 2021 erscheinen wird. Und obwohl er damit eigentlich ziemlich gut ausgelastet ist, packt ihn zwischendurch immer wieder das Verlangen, eigene Sachen zu machen. „Ich habe immer Zeiten, in denen ich viel schreibe und Neues erschaffe. Da hat sich in den Jahren ganz schön was angesammelt“, sagt er. „Es gibt eigentlich nichts schöneres, als der Spur einer Idee zu folgen, sie mit Liebe und Hingabe umzusetzen und in die Welt zu entlassen. Ich kann mir im Moment nichts besseres vorstellen.“